Projektbeschreibung
Die Galanterie als die in Zentraleuropa prägende kulturelle und literarische Kraft des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ist auf das Engste mit dem kolonialen und dem orientalistischen Diskurs verwoben. Man denke nur an die Ballettoper "Les Indes galant" (1735) von Jean-Philippe Rameau oder – wie man zeitgenössischen Berichten entnehmen kann – an die galanten Feste mit Impersonationen von Figuren aus Ländern, die man als exotisch wahrnahm, vom Kaiser von China bis hin zur versklavten Afrikanerin. In zahllosen Schlössern finden sich Objekte, ja ganze Räume, die von diesem Interesse zeugen: So besaß August der Starke (1670–1733) sowohl eine türkische Kammer als auch eine Mätresse aus diesem Land, und sein Hofbildhauer Balthasar Permoser hat immer wieder Darstellungen schwarzer Menschen – häufig in dienender, verdinglichender Funktion – angefertigt. Die Modegetränke in den um 1700 vielerorts neu aufkommenden Kaffeehäusern, Kaffee, Tee und Schokolade, sind Kolonialwaren. Orientalisierende und kolonialistische Darstellungen ferner, meist außereuropäischer Völker sind auch in galanten Zeitschriften, etwa in Form von Reiseberichten, zahlreich enthalten.
Viele galante Romane verfügen über exotisierende Titel, wie George de Scudérys "Ibrahim ou l’Illustre Bassa" (1641), "Die Asiatische Banise" (1689) von Heinrich Anshelm von Zigler und Kliphausen, "Die Türckische Helena" (1710) von Johann Leonhard Rost oder "Die Beständigkeit im Lieben an der africanischen Bernandis" (1715) von Palmenes. Christian Friedrich Hunold entwirft in seiner Roman-Übersetzung "Die Liebens-Würdige Adalie" (1702) gar en passant eine koloniale Poetik des galanten Romans: Beim Romanschreiben sei die Hässlichkeit der beschriebenen Laster „wie die schwartzen Africaner“ dazu da, die Tugenden, die mit „schönen Europäerinnen“ verglichen werden, vollkommener erscheinen zu lassen. Da die Tugenden als weiße Europäerinnen und die Laster als schwarze Afrikaner personifiziert werden, wird deutlich, dass die „koloniale Differenzkonstruktion“ , die die kolonialen Subjekte zu Anderen macht, nicht nur rassistisch, sondern sehr häufig auch gegendert ist.
Während auf dem allgemeineren Feld der Frühneuzeit-Forschung zu beobachten ist, dass zunehmend koloniale und orientalisierende Zusammenhänge untersucht werden, steht die Galanterie-Forschung in dieser Hinsicht noch weitestgehend am Anfang. Zu differenzieren ist hierbei zwischen kolonialen Kontexten im eigentlichen Sinne und dem Blick auf die mit Europa konkurrierenden muslimischen Kulturen in Vorderasien und Südosteuropa. Allerdings erleben auch diese gerade in der Zeit um 1700 mit dem Abflauen der unmittelbaren ‚Türkengefahr‘ nach der Abwehr der letzten Belagerung Wiens und der folgenden Verdrängung der Osmanen aus Ungarn einen massiven Schub der Exotisierung, bei dem sich die Schwerpunkte vom Pol des ‚Gefährlichen‘ in Richtung des ‚Faszinierenden‘ verschieben.
Das Ziel der internationalen Tagung ist es zu untersuchen, wie der galante Diskurs mit dem kolonialistischen und orientalisierenden Diskurs verflochten ist. Wichtig ist uns dabei, das enorm interdisziplinäre Feld der Literatur und Kultur um 1700 diesbezüglich abzubilden. Speziell fragen wir danach, wie sich diese Verbindungen auf die Darstellung von Körperrepräsentationen und die Konstruktion von Identitäten auswirken. Wie wird ‚das Andere‘ Europas im galanten Diskurs erzählt, präsentiert und inszeniert? Und wie formt dies wiederum die galante Ästhetik? Für folgende drei Aspekte der Verflechtung von Kolonialismus und Orientalismus mit dem galanten Diskurs verspricht die Tagung neue Erkenntnisse: Erzählen und Berichten vom Anderen im galanten Kontext, Sammeln, Präsentieren und Reproduzieren des Anderen im galanten Kontext, Inszenieren des Anderen im galanten Kontext.
Angaben zum Forschungsprojekt
Letzte Änderung: 14. Nov 2023 10:45
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