Projektbeschreibung
Prediger aus der „zweiten Reihe“, die sich nicht durch ein Kirchenamt und/oder die Verbreitung ihrer Predigten auszeichnen, wurden bisher kaum von der Forschung wahrgenommen. Dabei bietet die Masse der noch nicht bekannten Predigtüberlieferung Quellenmaterial, das es ermöglichen könnte, Desiderate der Predigtforschung in Angriff zu nehmen. Insbesondere die Machart der volkssprachigen Predigt in ihrer Abhängigkeit von sogenannten Predigthilfsmitteln (bspw. Florilegien) oder lateinischen Musterpredigtsammlungen gibt Rätsel auf. Aussagen über die vorherrschenden Techniken der Predigtproduktion müssen unpräzise bleiben, solange grundlegende Quellengattungen für die volkssprachige Predigt nicht hinreichend bei der Analyse berücksichtigt werden. Ein methodischer Ansatz zur Rekonstruktion der verschlungenen Überlieferungswege von Predigtvorlagen und zitierten Autoritäten scheint indes noch nicht greifbar zu sein: Weder für deutsche noch für lateinische Predigten gelingt es in neueren Untersuchungen, auf der Basis von Zitaten Rückschlüsse auf die verwendeten preaching tools zu ziehen. Dies stellt jedoch eine wesentliche Voraussetzung dar, nicht zuletzt auch um die Eigenleistung des Verfassers zu beurteilen.
Die von 1501–22 entstandenen etwa drei Dutzend frühneuhochdeutschen und ca. 2.700 lateinischen Predigten des Augustiner-Chorherren Balthasar Boehm sind für die Predigtforschung von höchstem Erkenntniswert, da hier eine Überlieferungskonstellation vorliegt, die Einblicke in den Herstellungsprozess der volkssprachigen Predigt verspricht. Die Gunst der Überlieferung kann nicht überschätzt werden: Erstens sind die Predigten Autographe, zweitens sind lateinische und frühneuhochdeutsche Predigten aus einer Hand überliefert, drittens sind auch noch Bearbeitungsstufen zu erkennen. Ein solcher Fall ist bisher in der (spät-)mittelalterlichen Predigtforschung noch nicht untersucht worden.
Ausgehend von dieser Überlieferungssituation, die zusätzlich noch durch die Kenntnis der Bibliotheksbestände des Augustiner-Chorherrenstifts Rebdorfs zu Lebzeiten Boehms und durch Archivalien ergänzt wird, werden Selektionsbedingungen, Techniken und Methoden, die, im Spannungsverhältnis zwischen diskursiven Formationen und kirchlichen Doktrinen, die Rückführung von Wissensbeständen aus dem Speicher- in das Funktionsgedächtnis ermöglichen, untersucht. Dabei sollen sowohl die Auswahl und die Organisation des in den Predigten dargestellten Wissens als auch die möglichen Funktionen der Inhalte für die Stabilisierung der Doktrin-Gesellschaft (Kloster Rebdorf, Geistlichkeit, Laien) untersucht werden.
Angaben zum Forschungsprojekt
Beginn des Projekts: | Oktober 2009 |
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Ende des Projekts: | Juni 2015 |
Projektstatus: | abgeschlossen |
Projektleitung: | Dicke, Prof. i. R. Dr. Gerd |
Beteiligte Personen: | Falch, Simon |
Lehrstuhl/Institution: |
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Finanzierung des Projekts: | Sonstiges |
Projektpartner: |
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Themengebiete: | G Germanistik; Niederlandistik; Skandinavistik > GE Deutsche Literatur > Spätmittelalter |
Projekttyp: | Promotionsprojekt |
Projekt-ID: | 2101 |
Letzte Änderung: 26. Jul 2015 21:25
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